Wie Aerodynamik und Effizienz die Fahrzeuge von Mercedes-Benz prägen.
Das machte mir als Kind einen Riesenspaß: Ich konnte beim Fahrradfahren auf dem Dorf mit den älteren Jungs zumindest bergab mithalten, wenn ich mich ganz flach auf den Lenker meines „Bismarck“-Fahrrads drückte. Im dritten Gang der Sachs-Torpedo-Schaltung „voll ausgedreht“ stand der VDO-Tacho bei über 50 km/h. Was an der falschen Übersetzung des kleinen Vorderrads lag – also es waren wohl ehrliche 30 km/ h (psst und ohne Helm, den gab es in den 70ern nicht).
Mein Vater las regelmäßig die Auto,Motor und Sport und es gab irgendwann eine Ausgabe mit einem Mercedes-Benz auf dem Titel, dessen Aussehen mich besonders faszinierte: Es war der C111-III.
Ein Auto wie ein Raumgleiter, eine Sternenflunder, die optisch perfekt in die aufkommende „Star Wars“-Ära passte. Die Rekorde, die vom C111 damals (1976-79) eingefahren wurden, habe ich als Kind natürlich nicht so stark wahrgenommen. (Ich habe aber in der Schule im Werkunterricht ein Tonmodell des Wagens geformt, da hieß es dann „Aufgabe verfehlt, das ist kein Tongefäß, sondern ein Rechteck“.) Egal.
Der Rekord des C111
Heute weiß ich: Das besonders Erstaunliche am Rekord des C 111 III war nicht, dass er auf der Versuchsstrecke im italienischen Nardo zwölf Stunden mit 316 km/h durch das langgestreckte Oval raste. Sondern, womit die Geschwindigkeit erzielt wurde: Der Motor war ein Fünfzylinder-Turbodieselmotor (OM 617) mit einer erhöhten Leistung von „nur“ rund 200 PS. Dieser von Haus sonst doch eher gemütlich veranlagte Selbstzünder war in der Serie mit sogar nur 65 PS auch bei der braven Limousine „Strich 8 240 D“ zu finden.
Durch den niedrigen cw-Wert von nur 0,18 teilte aber der C111 die Luft so effizient, dass er in der Endgeschwindigkeit genauso schnell fuhr, wie Rennwagen aus der Zeit (z.B. Porsche 936) mit doppelt so viel Leistung.
Bei 120 km/h ist der Luftwiderstand bereits viermal so groß wie der Rollwiderstand
Im aktuellen Mercedes-Benz-Magazin (Sonderausgabe „Effizienz“) findet sich ein sehr interessantes Interview mit Teddy Woll, dem Leiter Aerodynamik/Windkanäle bei Daimler. Darin erklärt Teddy Woll, warum Aerodynamik und Geschwindigkeit so stark voneinander abhängen: „Der Luftwiderstand nimmt quadratisch mit der Geschwindigkeit zu. Während der Rollwiderstand ziemlich konstant bleibt, wird der Luftwiderstand ab 60 km/h zum dominierenden Faktor“ (Hab´ ich doch auf dem Kinderrad genau bemerkt, das waren immerhin 50!). Also bei 120 km/h ist der Luftwiderstand bereits viermal so groß wie der Rollwiderstand, bei 240 km/h wäre es sogar das 16-Fache.
Ein Auto wie ein Flugzeug
Das für mich als Oldtimer-Fan mit Abstand „schärfste Auto“, das in diesem Jahr in Teddy Wolls Windkanal stand, war der Mercedes-Benz 540K Stromlinienwagen. Der Klassiker aus dem Jahr 1938 wurde mit modernen Methoden noch einmal auf seinen cw-Wert getestet. Der Wagen ist deshalb so spannend, weil so ganz anders aussieht, ihm fehlt der klassische stolze Mercedes-Kühlergrill, und das Cockpit mit der geteilten Frontscheibe gleicht einer Pilotenkanzel.
Das liegt daran, dass sich die Ingenieure der 20er und 30er Jahre bei Ihrer Suche nach „Windschnittigkeit“ stark vom Stand der Technik bei den damaligen Flugzeugen inspirieren ließen oder selbst sogar dem Flugzeugbau entstammten. Heraus kamen im Versuch bei Daimler-Benz, Auto Union aber auch US-Firmen wie Chrysler die “Stromlinienfahrzeuge“. Es war eine radikale Abkehr von der frühen Kutschenform der Autos, hin zu optisch fließenden Karosserien.
Der Mercedes 540 K Stromlinienwagen setzte damals aerodynamische Maßstäbe: Aus dem Luxussportwagens 540 K (K für „Kompressor“) wurde ein Fahrzeug mit geduckter Linie und einem cw-Wert von nur 0,36. An vielen Stellen ist der 540 K im Vergleich zum damaligen Serienfahrzeug aerodynamisch optimiert: Ein abgerundeter Bug, die in die Karosserie integrierten Scheinwerfer, innen abgerundete Radhäuser, versenkte Türgriffe, ein glatter Unterboden, minimale Karosseriefugen und der Verzicht auf Stoßfänger. Und der Mercedes-Stern ist wie bei den damaligen Rennwagen von Mercedes lediglich auflackiert.
Der Stromlinienwagen war für einen Einsatz bei der damals populäre Wettfahrt „Berlin-Rom“ konstruiert worden. Er hätte mit einer Spitzengeschwindigkeit von dauerhaften 170 km/h sicher gute Siegchancen gehabt. Im Kurzeit-Kompressorbetrieb besaß der Stromlinienwagen sogar 180 PS und konnte 185 km/h erreichen. Doch das Rennen wurde verschoben und 1939 wegen des Kriegsbeginns abgesagt. Nachdem Krieg verlor sich die Spur, bis Ende 2011 viele Einzelteile des Wagens in der Sammlung von Mercedes-Benz Classic und im Daimler-Archiv Konstruktionszeichnungen gefunden wurden. Der 540 K konnte nun endlich originalgetreu restauriert werden!
Ich finde es faszinierend, dass der Innenraum des Stromlinienwagens dabei trotzdem nicht karg und auf reine Funktion bedacht ist, sondern im Luxus und Komfort des „normalen“ 540 K schwelgt. Es wird zu der Zeit kein schnelleres fahrendes Club-Zimmer gegeben haben. Das ist die eben die typische Mercedes-Benz Formel, die damals schon galt und bis heute stimmt: Effizient, aber ohne Zugeständnisse an Komfort und Sicherheit.
“Form follows function“ nicht immer.
Da muss ich an meinen Youngtimer, eine S-Klasse W126, denken: In den späten Siebziger Jahren gelang es den Ingenieuren und Designern, auch die Limousinen mit dem klassischen Kühlergrill sehr viel aerodynamischer und effizienter zu machen. Das immer größere werdende Wissen der Vorgänger von Teddy Woll über Luft-Strömung, Verwirbelungen und Abrisskanten zahlte sich aus, galt es doch nach der weltweiten Ölkrise, die Autos schnell sparsamer zu machen. -Vielleicht ging das auch mit der Mode einher, denn auch die Krägen und der “Schlag” bei den Hosen wurden endlicher wieder etwas weniger breit…
Deshalb hat der W126 zum Beispiel mit gebogener Frontscheibe, versenkten Wischern, angeschrägten Außenspiegeln und Windabweisern am Dach zur Lärmreduktion schon ziemliche viele Aerodynamik-Tricks parat. Auch der W126 schafft so einen cw-Wert von 0,36. Mein „S“ hatte ursprünglich sogar die verbrauchssenkenden wind –aber nicht schnittigen Kunststoffradkappen. Aber da ich kein hundertprozentiger Schwabe bin, habe ich mir dann doch die klassischen „Fuchs-Felgen“ besorgt. „Form follows function“ nicht immer. :-)
Trotz mächtigem Kühlergrill kommt die aktuelle S-Klasse (W222) auf einen cW-Wert von 0,24, der Dieselhybrid sogar auf 0,23. Nebenbei spart das Auto zusätzlich Energie, indem alle Lampen im Auto mit LED-Technik leuchten. Insgesamt knapp 500 LEDs ersetzen jegliche sonst verwendete Glühlampe im Fahrzeug, allein 300 sorgen im Interieur für das passende Ambiente. Schicker sparen…
In der DNA von Mercedes-Benz: Das Tüfteln und Witerentwickeln
In punkto Kühlergrill wurde ja vor kurzer Zeit bei Mercedes-Benz ein interessantes Detail wiederentdeckt: Die Kühlerjalousie, sprich „Airpanel“. Zur Senkung von Luftwiderstand und Verbrauch lassen sich die Lamellen des Kühlergrills bei einigen Modellen von C- und E-Klasse und beim brandneuen Mercedes-Maybach verschließen. Und das scheint eben auch in der DNA von Mercedes-Benz und seinen Ingenieuren zu stecken: Das Tüfteln an und Weiterentwickeln von Details. Damals wie heute.
Ich möchte mal wieder mit dem Fahrrad, flach auf den Lenker gedrückt, einen Berg herunter fahren. Ob ich mich das noch traue…?