Mit Lewis Hamilton auf Werksbesuch
Lewis Hamilton steckt im Verkehr fest. Allerdings hat er keine Red Bull oder Ferrari vor sich, sondern Opel und Skoda. Er ist auch nicht auf der Rennstrecke in Monza oder Monaco unterwegs, sondern auf der Autobahn 81 irgendwo zwischen Sindelfingen-Ost und Böblingen-Hulb. Und schuld am Kolonnenfahren ist nicht das Safety Car, sondern die Straßenmeisterei, die sorgfältig den Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen stutzt.Währenddessen wartet eine etwa 15-köpfige Gruppe aus Motorsportverantwortlichen, Mercedes-Leuten und Journalisten an Tor 3 des Werks Sindelfingen.
Auch ein Kamerateam ist dabei. Sie wollen Material für einen RTL-Beitrag drehen, der in der Vorberichterstattung zum Hockenheimrennen gesendet werden soll. Irgendwann ist es soweit: Hamilton fährt vor, steigt aus, begrüßt alle per Handschlag und entschuldigt sich aufrichtig. Man merkt: Er kommt nicht gern zu spät ins Ziel. Egal, jetzt ist er da: große Ehre, Freude und los geht’s. Alle steigen ein, die Fahrzeuge setzen sich in Bewegung – an der Spitze Lewis Hamilton und Motorsport-Chef Toto Wolff im S500 PLUG-IN HYBRID. Für die Beiden ist das bekanntes Terrain, fährt doch inzwischen auch die Königsklasse des Motorsports Hybrid.
Als erstes wird die Produktion des S-Klasse Coupés besichtigt. Dr. Emmerich Schiller, Leiter der S-Klasse-Produktion, begrüßt uns im Gebäude 32 und führt direkt zur Montagelinie. Lewis Hamilton ist zu allen sehr freundlich, wirkt interessiert, stellt viele Fragen. Bei der „Hochzeit“ bleibt er länger stehen. Hier werden Karosse und Antriebsstrang zusammengeführt. Dabei müssen alle Rädchen ineinander greifen. „Wie beim Boxenstopp“, sagt der Formel 1-Pilot.
Die Kollegen am Band sind noch ein bisschen zurückhaltend. „Seid nicht so schüchtern“, ruft Emmerich seinen Mitarbeitern zu. Die nehmen das wörtlich und klopfen dem Rennfahrer kräftig auf die Schultern. Immer mehr Kollegen kommen vorbei, bleiben kurz stehen und sagen „Hallo“. Im Gehen signiert Hamilton Autogrammkarten und posiert für Selfies. Nach kurzer Zeit ist der Edding leer, fünf weitere wird er in den nächsten zwei Stunden aufbrauchen.
Die Tour geht weiter. Vor Gebäude 24 ist eine Bühne aufgebaut, davor warten etwa 300 Leute. Es gibt ein kleines Interview: Rückblick auf das letzte Rennen, Ausblick auf das nächste, Hamiltons Verhältnis zu Teamkollege Rosberg – die Fragen pariert der Medienprofi locker. Dann wendet er sich ans Publikum: „Hat jemand von euch vielleicht eine Frage?“ Der Moderator stockt kurz, das war so nicht geplant. Aber der erste Arm schießt schon in die Höhe. „Haben Sie vor Hockenheim mal Ihr Getriebe angeschaut?“ Alle lachen, Hamilton schaut erst irritiert und begreift dann: In der Vorwoche war Nico Rosberg in Silverstone mit Getriebeproblemen ausgeschieden. Hamilton hatte davon profitiert und sein Heimrennen gewonnen. Aber nein, er fürchte keine Retourkutsche von Rosberg bei dessen Heimrennen.
Der Nächste meldet sich. Er ruft laut: „Wissen Sie, wir arbeiten hier im Werk sehr hart für den Erfolg von Mercedes. Und wir stecken seit Jahren verdammt viel Geld in die Formel 1…“ Jetzt könnte es schwierig werden. Es gibt Leute im Unternehmen, die das Formel 1-Engagement von Mercedes-Benz für rausgeschmissenes Geld halten. Dann nimmt die Wortmeldung aber eine andere Richtung: „Diese Saison habt Ihr endlich den Erfolg, auf den wir lange gewartet haben. Also mach uns stolz und werd‘ jetzt Weltmeister!“ Die anderen Fragen hatte der Moderator auf Englisch übersetzt. Auch jetzt setzt er an, aber Hamilton winkt ab: „Das hab ich auch so verstanden…“ Er werde sein Bestes geben.
Weiter vors Mercedes-Benz Technology Center, noch mehr Fans. Lewis Hamilton schreibt sich die Finger wund und lächelt sich das Gesicht taub. Nach einer guten halben Stunde steht der nächste Termin auf dem Programm: die Besichtigung des neuen Aeroakustik-Windkanals. Er wurde 2013 eröffnet und ist der modernste und leiseste Windkanal der Welt. Messungen bis zu einer Windgeschwindigkeit von 265 km/h sind möglich. Das beeindruckt auch Lewis Hamilton: „Wo ist Toto? So einen brauchen wir bei uns in Brackley auch.“ Er stellt sich in den leichten Wind und lehnt sich nach vorn. Das gibt coole Fotos, kurze Zeit später sind sie auf Instagram zu finden. Der Reporter der BILD-Zeitung macht’s dem Engländer nach, stellt sich ebenfalls in den Wind und lässt die langen Haare flattern. Hamilton ruft den Ingenieuren zu: „Der schreibt immer so böse Geschichten über mich – dreht den Wind voll auf!“
Zu Fuß geht es zur letzten Station des Werksbesuchs: ins Fahrsimulationszentrum. Nach einer kurzen Einführung steigt Hamilton ein. Tür zu, das Programm wird gestartet. Zuerst: Slalom in einer virtuellen A-Klasse. Ein paar Pylonen nimmt er mit, dann ist er drin und gibt Gas, etwas zu viel Gas. „Mister Hamilton, Sie sind zu schnell“, heißt es vom Kommandostand. „Vergessen Sie nicht: Es ist eine A-Klasse“. Er wechselt auf eine C-Klasse, aber auch die ist noch nicht so ganz nach seinem Geschmack: „Gib mir einen AMG!“. Er bekommt einen CLS, das ist besser. Eine Runde fährt er noch, dann hört er auf: „Mir ist schwindelig.“ Ich denke, was wohl alle denken: Ausgerechnet dem Formel 1-Fahrer wird schlecht. Aber wir lernen: Gerade sehr guten Fahrern geht es im Simulator oft so. Sie nehmen mehr wahr als wir Otto-Normal-Fahrer. Irgendwann ist das Gehirn überfordert. Auch deshalb hat Michael Schumacher, Gerüchten zufolge, früher lieber stundenlang auf der Strecke getestet als im Simulator.





Vielleicht hatte Lewis Hamilton aber auch einfach zu wenig getrunken. Bei einem Glas Wasser fachsimpelt er schon wieder mit den Experten des Simulationszentrums. Doch die Zeit drängt. Das Programm in der Woche vor den Rennwochenenden ist voll. Bei AMG in Affalterbach wartet man schon auf den Rennfahrer. Zuvor gibt er den Kollegen von der internen Kommunikation aber noch ein kleines Interview: „Die Leute draußen wissen gar nicht, was es für ein Aufwand ist, die besten Autos der Welt zu bauen – wieviel Arbeit da drinsteckt. Ich weiß es jetzt.“ Er bedankt sich noch mal, dann steigt er ins Auto. Zum Abschied sagt er leise „See you“.
In Hockenheim wird er eine Achterbahn der Gefühle erleben: In den freien Trainings kämpft er mit Nico Rosberg um Platz 1. Im Qualifying kracht er nach einem Bremsdefekt in einen Reifenstapel, landet auf Rang 15, wird anschließend auch noch aufgrund eines Getriebewechsels auf Startplatz 20 zurückversetzt. Im Rennen pflügt er sich durchs Feld, kommt vor bis aufs Podium. Kurz vor Schluss hätte er den Doppelsieg sogar noch perfekt machen können, aber Williams-Pilot Valtteri Bottas rettet sich als Zweiter ins Ziel. Eine überragende Leistung von Hamilton. Bei der Siegerehrung wirkt er trotzdem unzufrieden. Er kommt einfach nicht gern zu spät ans Ziel.“